Tipps zur Stressbewältigung mit ADHS
MSc Ben Kneubühler, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP
Da wie im Fachartikel beschrieben davon ausgegangen wird, dass ein Ungleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit herrscht, ist oberstes Ziel, die sog. „work-life“ Balance zu erhalten oder wiederherzustellen. Dabei geht es darum, Schlaf, Sport und Ernährung anzupassen und wieder zu Kräften zu kommen und mit dem Stress umgehen zu lernen (sog. „Stressmanagement“). Stichworte dafür sind: Zeitplanung, Selbstmanagement, Erlernen von Entspannungstechniken, Pflege von Hobbys und soziale Kontakte. Es wird bereits ersichtlich, dass diese Präventions- und Behandlungsstrategien sich mit den Symptomen der ADHS überlappen: Zeitmanagement fällt sowieso schwer, und die Hyperaktivität führt zu erlebter innerer Unruhe, was Entspannung erschwert. Inwiefern sind die genannten Techniken also für ADHS Betroffene geeignet?
Ein Burnout wird von Betroffenen häufig lange nicht wahrgenommen oder verleugnet. Der erste Schritt besteht darin, die im vorherigen Artikel genannten Warnsignale überhaupt zu erkennen und als Symptome eines drohenden Burnouts einzuordnen. Es soll also zunächst das Bewusstsein für das eigene Befinden geschärft werden - Übungen hierfür finden Sie im Kasten weiter unten. In einem weiteren Schritt könnte es darum gehen, die individuellen Auslöser für Verspannung und Stress zu identifizieren. In welchen Situationen bin ich gestresst? Was genau stresst mich? Wie gehe ich damit um? Eine Selbstbeobachtung über ein paar Tage lohnt sich. Im Anschluss daran müssen Prioritäten gesetzt werden: Was muss sich dringend ändern? Wo kann mit dem kleinsten Aufwand der grösste Effekt erzielt werden?
Auf der Suche nach individuellen Lösungen kann zwischen problemorientierten und emotionsorientierten Strategien unterschieden werden. Problemorientierte Strategien setzen direkt beim Auslöser an: Arbeit delegieren, Unordnung reduzieren, Hinterfragen der Gedanken. Bei den emotionsorientierten Methoden geht es darum mit den durch den Stress ausgelösten Gefühlen umzugehen. Ablenken, Entspannen, aber auch akzeptieren (was nicht mit gutheissen gleichzusetzen ist), kann helfen. Was tut mir gut in diesen Momenten? Was hilft den erlebten Stress zu reduzieren. Eine gesunde Mischung zwischen Akzeptanz und Veränderung bewährt sich. Nicht alle Stressfaktoren können aus der Welt geschafft werden und vergebene, zwanghafte Bemühungen können schliesslich selbst zu Stress werden.
Zeitmanagement lohnt sich immer und kann heute auf viele Arten erfolgen – ob elektronisch im Smartphone oder klassisch mit einer Agenda. Regelmässig anfallende Tätigkeiten und Aufgaben werden zuerst eingeplant, danach erst kommen die kurz-, mittel- und langfristigen ToDo’s. Dabei ist immer wieder kritisch zu prüfen, ob der Zeitplan realistisch ist. Das bedeutet auch, dass nicht von Vornherein 100% der verfügbaren Zeit verplant werden sollten, damit Lücken für Unvorhersehbares vorhanden sind. Das Zeitmanagement kann gemeinsam mit Freunden, Vorgesetzten oder Ergotherapeuten erarbeitet werden. Vielleicht steht sogar ein Sekretariat zur Verfügung? Aber Vorsicht: Menschen mit ADHS fällt es häufig schwer, mühsam Geplantes auch in der vorgesehenen Reihenfolge in die Tat umzusetzen. Oft muss daher individuell herausgearbeitet werden, wie Pläne eingehalten werden können und eine gewisse Verbindlichkeit erreicht wird -, etwa im Rahmen eines Coaching.
Entspannung – so einfach sich das anhört – stellt für ADHS-Betroffene häufig eine grosse Herausforderung dar. Angst vor Langeweile, aber auch das Gefühl von innerer Unruhe und Getriebenheit sowie die fehlende Erfahrung mit einem entspannten Zustand machen es ihnen schwer. Die Suche nach einer geeigneten Entspannungstechnik ist daher zentral und meistens aufwändiger als bei Menschen ohne ADHS. Bewährt hat sich die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, wobei hier die Kurzversion zu empfehlen ist. Es werden dabei bestimmte Muskelgruppen nacheinander zuerst angespannt und dann wieder entspannt. Der Wert der Übung liegt neben dem direkten entspannenden Effekt auf die Muskulatur vor allem darin, die Unterschiede zwischen An- und Entspannung bewusst wahrzunehmen. Der Übergang in den entspannten Zustand wird dabei an die Ausatmung gekoppelt. Weitere bewährte Methoden sind das autogene Training und die Achtsamkeitsmeditation. Anleitungen hierzu finden sich auf Youtube, ebenfalls sind Apps verfügbar („Headspace“, „Calm“). Hier besteht die Kunst vor allem darin, viele kleine und dafür umso erfolgreichere Schritte zu machen.
Neben diesen Entspannungstechniken ist Sport eine bewährte Methode, um „Dampf abzulassen“. Darüber hinaus führt körperliche Aktivität längerfristig zu mehr Leistungsfähigkeit und zu einer erhöhten Toleranz gegenüber Stressoren. Welches sind Ihre alltäglichen Möglichkeiten zum aktiven Stressausgleich? Achten Sie doch in den kommenden Tagen einmal ganz bewusst auf mehr Bewegung. Als Anfang: Nutzen Sie den Arbeitsweg, dazu! Steigern Sie bewusst die Dauer und Intensität körperlicher Tätigkeiten! Planen Sie regelmässige Bewegungspausen ein!
Die eigene Grundeinstellung ist für viele ADHS-Patienten dennoch die grösste Hürde. Durch erlebte Misserfolge, haben viele Betroffene negative Denkmuster, ein schlechtes Selbstbild und Perfektionismus entwickelt und engagieren sich deswegen eher überdurchschnittlich - und vor allem über ihre persönlichen Kapazitäten hinaus - in Familie, Beruf und Freizeit. Eine Psychotherapie kann hier helfen, diese Schemata zu identifizieren, nicht hilfreiche Emotionen zu verarbeiten, zu einem positiveren Selbstgefühl zu finden und Selbstfürsorge zu erreichen. So kann das riesige Energiepaket letztlich dazu genutzt werden, sich selbst etwas Gutes zu tun!
Ampelmethode:
Als eine bildliche Hilfe zur Strukturierung des persönlichen „Verkehrschaos“ hat sich die Ampel-Methode bewährt: Bei Grün ist alles in Ordnung, bei Gelb muss entweder auf die Bremse gestanden werden oder die Kreuzung rasch überquert werden. Rot allerdings erfordert sofortige Massnahmen, um eine Katastrophe zu verhindern. Ab wann eine Ampel gelb oder rot wird, ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Beispiele zur besseren Wahrnehmung kritischer Situationen könnten sein: vermehrtes Vergessen, verkürzte Mittagspausen als Signale für Gelb, aufsteigende Hitze, vermehrtes Schwitzen, Einschlafprobleme als Signale für Rot. Die passenden Massnahmen sind ebenso individuell: Im gelben Bereich könnte man sich Hilfe bei einem Kollegen holen, der hilft die Arbeit zu priorisieren. Bei Rot wäre vorstellbar, langsam bis 10 zu zählen, eine Pause einzulegen, eine Entspannungsübung zu machen oder Joggen zu gehen.
Achtsamkeit Übung:
(Quelle: Segal, 2008)
Nehmen Sie sich etwa drei Minuten Zeit dafür, sich nacheinander folgende drei Fragen zu stellen: Wie fühle ich mich gerade? Achten Sie auf Ihre Gedanken und Gefühle. Hierbei brauchen Sie keine Worte für Ihre Gefühle zu finden. Nehmen Sie sich und Ihre Gefühle einfach wahr. (Pause)
Wie fühlt sich mein Atem an? Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Ihren Atem, als wäre er der Anker für Ihren Körper. Wie schnell oder langsam geht er? Wo fühlen Sie ihn im Körper? (Pause)
Wie fühlt sich mein Körper an? Dehnen Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den gesamten Körper aus. Richten Sie sie auch gern auf verschiedene Stellen/Partien Ihres Körpers. Gibt es Bereiche, wo Ihnen etwas weh tut? Fühlen Sie irgendwo ein Kribbeln? Oder sind Sie an einer Stelle besonders entspannt? Lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit ruhig wandern und beobachten Sie, dass alles im Fluss ist.