Ein erfüllendes Sexualleben ist lernbar
In Partnerschaften spielt die Sexualität eine wichtige Rolle. In manchen Beziehungen herrscht aber mehr Frust statt Lust. Das kann verschiedene Gründe haben und sich bei Mann und Frau unterschiedlich bemerkbar machen. Eine Sexualtherapie kann helfen wenn die Sexualität zum Problem wird. Ein offenes Gespräch mit Sexualtherapeut Ben Kneubühler über ein Tabuthema und die Arbeit des Therapeuten.
Zugegeben, auch die Schreiberin, die sich als aufgeklärt und unverklemmt bezeichnet, war zu Beginn des Gesprächs etwas gehemmt. Offen über Sex zu reden, fällt vielen Menschen nicht leicht und ist ein Tabu, obschon Sexualität ein natürliches Bedürfnis wie essen oder trinken ist. Verständlicherweise ist es noch schwieriger darüber zu reden, wenn in Sachen Sex nicht alles «normal» läuft. Sachlich, ruhig und unaufdringlich schafft es Psychologe und Therapeut Ben Kneubühler in kurzer Zeit eine entspannte Gesprächsatmosphäre zu schaffen, um Hemmungen abzubauen und die Dinge beim Namen zu nennen. Das Besprechungszimmer im Bürogebäude im Zürcher Seefeld ist hell, mit farbigen Bildern, Planzen, Sitzgruppe und Schreibtisch ausgestattet. Es könnte auch das Büro eines Treuhänders sein. Ein Untersuchungstisch fehlt, und körperliche Untersuchungen gehören auch nicht zu den Aufgaben eines Therapeuten, wie er gleich zu Beginn erklärt. In den Gesprächen muss sich auch niemand entblössen. Sinnvollerweise öffnen sich aber Patientinnen und Patienten emotional und offenbaren ihre intimen Sorgen in vertraulichen Gesprächen ihrem Therapeuten. So wie Mann und Frau sich das von jedem Arztbesuch oder von Beratungsgesprächen mit einem Treuhänder gewohnt sind.
Häufig grosser Leidensdruck
Ins Besprechungszimmer des Psychologen und Sexualtherapeut Ben Kneubühler kommen die Wenigsten auf Empfehlung, sondern werden von Ärzten überwiesen oder haben im Internet nach einem Sexualtherapeuten gesucht. Seine Patienten im ZiSMed (Zürcher Institut für klinische Sexologie & Sexualtherapie) sind vorwiegend männlich, selten Frauen und manchmal auch Paare. Frauen mit sexuellen Problemen oder Fragen, wenden sich laut Kneubühler lieber an die weiblichen Mitarbeiterinnen im «Ziss». «Aber besonders Männer stehen, wenn es um sexuelle Probleme geht, unter Druck und vertrauen sich nicht so leicht jemandem an», weiss der Sexualtherapeut. Frauen vertrauen sich nicht zuletzt auch bei regelmässigen gynäkologischen Untersuchen eher ihrem Arzt oder der Ärztin an und besprechen allfällige Probleme dort. Die Meinung Männer können und wollen immer, sei noch immer verbreitet, verunsichert dementsprechend und erzeugt Druck, wenn dem vielleicht über eine gewisse Zeit nicht so sei. Dabei seien Phasen der Lustlosigkeit auch bei gesunden Männern durchaus möglich und nicht abnormal. Manchmal reicht darum auch schon ein einmaliges offenes Gespräch zur Beruhigung und Klärung von solch intimen Fragen. «In jedem Fall muss aber ein Patient mit seinen Sorgen ernst genommen werden, wenn er schon den Mut aufbringt, den Aufwand betreibt und sich fachliche Hilfe bei uns holt. Bis zu diesem Schritt ist der Leidensdruck der Betroffenen zum Teil gross.» Häufig sind mehrere Therapiesitzungen nötig. In Gesprächen wird das Problem erfasst, nach Ursachen und dann nach Lösungen gesucht. Wenn kein medizinisches Problem vorliegt, wie beispielsweise eine sexuell übertragbare Krankheit oder Prostatakrebs, muss nicht zusätzlich ein Arzt konsultiert werden. Dann arbeitet Ben Kneubühler mit den Patienten allein oder bezieht – wenn es gewünscht oder sinnvoll ist – auch die Partnerin oder den Partner in die Therapie mit ein. «Wenn Paare nicht offen über sexuelle Vorlieben, Wünsche oder Probleme miteinander reden können, kann es hilfreich sein, wenn jemand bei solchen Gesprächen unterstützend dabei ist.»
vitaswiss: Es gibt mehr nackte Haut als früher in der Werbung, auf Plakaten und Illustrierten oder in der Pornografie im Internet. Ist das nicht ein Overkill, der auch zu falschen Vorstellungen in Beziehungen führt?
Ben Kneubühler:
Das hat sicher zum Teil auch Einfluss auf die eigene Sexualität. Beispielsweise wenn eine Frau sich mit Models aus der Werbung oder Schauspielerinnen am TV vergleicht und so unzufrieden ist mit ihrem Körper. Das macht wenig Lust. Wurde früher vielleicht ein Sexheftli im Altpapier gefunden und heimlich durchgeblättert, ist es heute auch für Junge kein Problem mehr Pornografie zu konsumieren. Im Sexualkundeunterricht mit Jugendlichen, den ich teilweise an Schulen mitunterstütze, thematisieren wir darum auch immer wieder, dass sich die Sexualität in einer realen Beziehung von einem Pornofilm wesentlich unterscheidet. Besonders junge Männer haben da oft Vorstellungen und Erwartungen, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Von Oral- bis Analsex wird in Pornos zum Teil das ganze Programm in einem Akt durchgespielt und Sex nur konsumiert.
Was ist guter Sex und wieviel Sex braucht eine Beziehung?
Da muss man Sex erst einmal definieren: Sex ist nicht nur Geschlechtsverkehr. In einer Partnerschaft spielt sich die Sexualität auf mehreren Ebenen ab und beschränkt sich nicht nur auf die körperlichen erogenen Zonen, sondern auch auf emotionale Bereiche. Wenn man nur über Geschlechtsverkehr reden will, gibt es Umfragen, die durchschnittlich einmal pro Woche Sex belegen. Es gibt aber auch Paare, die viel mehr oder weniger Sex haben und damit zufrieden sind. Wann kann eine Therapie hilfreich sein, und was sind die Hauptprobleme Ihrer Patientinnen und Patienten? Zum Beispiel kann eine Therapie hilfreich sein nach Erkrankungen der Prostata, aber auch wenn in Partnerschaften die Lust weg ist, und man unzufrieden mit seiner Sexualität ist. Bei Männern geht es vor allem um frühzeitigen Samenerguss und Erektionsprobleme. Bei Frauen ist es häufig Lustlosigkeit und Probleme zum Orgasmus zu kommen. In Paartherapien ist ebenfalls Lustlosigkeit bei Mann oder Frau ein Problem und natürlich Beziehungsprobleme aller Art. Eher selten dagegen ist Sexsucht ein Thema - auch wenn diese oft befürchtet wird.
Wie kann in einer Therapie geholfen werden?
Das Problem wird besprochen und nach Ursachen gesucht. Nach der Evaluation geht es darum Veränderungen herbeizuführen und zu trainieren. Lustlosigkeit kann beispielsweise mit Stress im Job oder mit den Kindern, mit Mobbing oder einem Todesfall zusammenhängen. Die Geburt von Kindern verändert zeitweise das Sexualleben von Männern und Frauen. Teilweise wird auch die Lust mit zunehmendem Alter weniger. Das ist natürlich. Aber auch dann kann man Lust gemeinsam neu entdecken. Lustlosigkeit oder Erektionsstörungen müssen nicht mit der langjährigen Partnerin oder dem Partner zusammenhängen. In Therapiegesprächen wird auch nachgefragt wie jemand aufgewachsen ist. Welche Mythen sich unter Umständen im Kopf befinden, wie bisher die eigene Sexualität erlebt und gelebt wurde. Wie und was steigert die eigene Erregung, und auch Selbstbefriedigung wird thematisiert. Es geht in der Therapie darum, den Druck auf sich selber abzubauen. Das kann mit Schlafstörungen verglichen werden. Wer nicht einschlafen kann und sich zwingen will zu schlafen, erreicht meist gar nichts. So ist es auch mit Sex. Der Kopf spielt eine wichtige Rolle. Manchmal kann durch Änderungen der Bewegungen und neue Stimulationen beim Sex und der Selbstbefriedigung eine Verbesserung erreicht werden. Ein erfüllendes Sexualleben ist lernbar. Unser Ansatz ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass wir nicht nur im Kopf ansetzen, sondern eben auf allen Ebenen, das heisst zum Beispiel, dass wir auch die emotionale Ebene einbeziehen.
Welchen Einfluss hat die Erziehung auf die Sexualität?
Schon Kinder verspüren Erregung und erforschen den eigenen Körper. Den Zugang zur eigenen Sexualität lernen Kinder meist autodidaktisch. Wie Eltern mit der eigenen Sexualität und der ihres Kindes umgehen kann einen Einfluss haben. Es ist noch nicht lange her, da wurde beispielsweise Selbstbefriedigung für Krankheiten verantwortlich gemacht oder in religiösen Kreisen verteufelt. Solche Mythen im Kopf können nachhaltig sein und ein natürliches erfüllendes Sexualleben als Erwachsene erschweren. Einen positiven natürlichen Umgang mit Körperlichkeit und Zärtlichkeit der Eltern hingegen, ermöglicht Kindern unbeschwertes eigenes Entdecken.
Wie steht es mit Sex im Alter?
Sexualität verändert sich mit dem Alter. Die Erregungsfähigkeit kann sowohl bei Männern wie auch bei Frauen abnehmen. Wenn ältere Paare natürlich weniger Sex haben, heisst das nicht, dass sie die Qualität ihres Liebeslebens als weniger gut empfinden. Langjährige Paare haben oftmals mehr Vertrauen und Sicherheit, was die Beziehung auch in sexueller Hinsicht bestärkt und erfüllt.
Welche Tipps können Sie für eine beglückende Sexualität geben?
Mann und Frau sollten beim Sex neugierig bleiben. In Beziehungen ist Kommunikation immer wichtig. Man sollte daher auch den Mut haben, wie über alle anderen Dinge auch seine sexuellen Bedürfnisse und Wünsche dem Partner gegenüber zu äussern.
Angaben zum Text:
vitaswiss 4 2017, Text: Corine Turrini Flury, Experte: Ben Kneubühler